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Verwandlung

Sofia Gubaidulina (2004)

In der 2004 entstandenen Komposition Verwandlung entfaltet sich ein kammermusikalisches Klangdrama, das sich in vielfacher Weise mit der Idee der Transformation auseinandersetzt, auf klanglicher, formaler und symbolischer Ebene. Die Besetzung ist ungewöhnlich und aufschlussreich: eine solistisch geführte Posaune, Saxophonquartett, Violoncello, Kontrabass und Tamtam. Diese Kombination öffnet das Spektrum zwischen Blech, Holz, Saiten und Schlagwerk, ohne dabei auf das klangliche Volumen eines klassischen Ensembles zurückzugreifen. Gerade diese Reduktion macht die Prozesse der Verwandlung, die Gubaidulina ins Zentrum des Stückes stellt, umso greifbarer. Jedes Instrument wird in seinem Charakter herausgefordert und durchläuft klangliche und expressive Metamorphosen. Am Ende des Werks tritt das Tamtam in den Vordergrund und fungiert dabei nicht nur als klanglicher Akzent, sondern auch als quasi-symbolisches Instrument. Es wirkt wie ein Ritualinstrument, das am Schluss einen Übergang markiert, eine Schwelle zu einer anderen klanglichen oder geistigen Ebene. Gubaidulina nutzt es als Mittel der Katharsis, der Reinigung, das die musikalischen Prozesse zu einem letzten, entscheidenden Punkt führt. Die anderen Instrumente verhalten sich in ihrer Klangentwicklung wie Pilger, die auf ein Ziel zusteuern, nicht selten in zögerlichen, gebrochenen oder tastenden Gesten. Die musikalische Sprache in Verwandlung ist durchzogen von Gubaidulinas typischen Ausdrucksmitteln: Mikrointervalle, Glissandi, Überlagerungen von Spieltechniken, das Suchen nach innerer Resonanz. Die Posaune etwa durchläuft im Werk eine «Verwandlung» von einer eher solistischen, kraftvollen Präsenz zu einem zunehmend atmenden, fragilen Klangwesen. Ähnlich entwickeln sich die Saxophone, die sich phasenweise zu einem kollektiven Atem bündeln, dann wieder einzeln hervortreten und neue klangliche Identitäten annehmen. Cello und Kontrabass bilden ein dunkles, tief atmendes Fundament, nicht bloß als Begleitung, sondern gleichsam als klangliches Unterbewusstsein des Werks. Formal ist das Stück weniger als lineare Erzählung, denn als spirituelles Ritual zu verstehen. Die Transformationen geschehen nicht in plakativen Brüchen, sondern in allmählichen, oft kaum wahrnehmbaren Übergängen. Dieser Prozesscharakter verleiht dem Werk eine meditative Tiefe, die Gubaidulinas Musik so einzigartig macht. Es geht nicht um dramatische Entwicklungen im herkömmlichen Sinne, sondern um ein inneres Fortschreiten, ein Sich-Wandeln hin zu einem anderen, vielleicht geläuterten Zustand. In Verwandlung offenbart sich Gubaidulinas Fähigkeit, Klang als existenzielles Ausdrucksmittel zu begreifen. Das Werk lädt dazu ein, sich auf einen Weg einzulassen, dessen Ziel nicht in äußerer Virtuosität, sondern in innerer Bewegung liegt. Transformation wird hier nicht nur musikalisch gedacht, sondern metaphysisch — als ein Prozess des Hörens, der zugleich ein Prozess des Werdens ist.

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2025