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Gagokbounce: One by One

Sebastian Claren, Hyunju Oh (2022)

Gagokbounce: One by One ist ein rund 80-minütiger Liederzyklus von Sebastian Claren, der 2022 am National Theater of Korea in Seoul uraufgeführt wurde. Das Werk verbindet traditionelle koreanische Gagok-Gesänge mit einem poetisch-analytischen Text der koreanisch-amerikanischen Künstlerin und Autorin Theresa Hak Kyung Cha. Im Zentrum steht die Auseinandersetzung mit der menschlichen Stimme – ihrem Klang, ihrer Materialität und ihrem Verhältnis zu Sprache, Körperlichkeit und kultureller Identität. Gagok ist ein hochdifferenzierter koreanischer Gesangsstil mit jahrhundertealter Tradition. Charakteristisch sind komplexe Verzierungen, abrupte Registerwechsel und eine Ästhetik, die Rauheit, Atemgeräusche oder Brüche nicht verbirgt, sondern betont. Anders als in westlichen Traditionen werden diese «Unreinheiten» zum Ausdrucksträger. Frauen singen im Falsett, Männer gehen mit der Bruststimme in die höchste Lage – eine Umkehrung vertrauter Stimmkonventionen. Diese vokale Praxis verlangt höchste Präzision, gerade auch im Leisen und Fragilen. Die daraus entstehende Spannung verleiht Gagok-Aufführungen eine besondere Ruhe und Präsenz. Die kompositorische Idee besteht darin, das Gagok-Material in all seiner Feinheit hörbar zu machen und immer wieder neu zu fokussieren. Sieben Lieder aus dem weiblichen Repertoire bilden die Grundlage, die in präziser Transkription neu interpretiert wird. Jede Verästelung, von Mikroverzierungen bis zu feinen Tempomodulationen, wird ausnotiert. So entsteht ein klangliches Porträt, das dem Original in Struktur und Detail radikal nahekommt und zugleich eine eigene Position formuliert. Die Musik tritt in einen Dialog mit einem kurzen Text aus Dictée, dem Hauptwerk von Theresa Hak Kyung Cha. Die Künstlerin, die in den 1970er Jahren mit Performances und Videos hervortrat, gilt heute als zentrale, lange übersehene Figur feministischer und postkolonialer Kunst. Ihr Werk, geprägt von Migration und kultureller Entwurzelung, kreist um Themen wie Sprache, Stimme und Erinnerung. Der ausgewählte Text beschreibt die Funktion der Stimmorgane in einer Sprache, die zugleich poetisch und sachlich ist –
ein Spannungsverhältnis, das sich inhaltlich wie ästhetisch ideal mit der musikalischen Fokussierung auf die Details der menschlichen Stimme verbindet. Die sieben Textabschnitte sind jeweils einem Lied zugeordnet. Die Neuproduktion bei Wien Modern wird von der koreanischen Performerin und Installationskünstlerin Hyunju Oh eingerichtet. Ihre reduzierte, hochkonzentrierte Körpersprache erweitert die Musik um eine visuelle und räumliche Ebene. Bewegung, Stimme und Klang greifen ineinander; das Ergebnis ist eine stille, ritualhafte Form von Musiktheater, in der die Grenzen zwischen Aufführung und Installation verschwimmen. Ihre ästhetische Handschrift knüpft zugleich an die Performances Chas aus den 1970er Jahren an, mit denen sie sich intensiv auseinandergesetzt hat. Die sieben musikalischen Sätze folgen einander ohne Unterbrechung. Wie im traditionellen Gagok entsteht ein kontinuierlicher Spannungsbogen mit zwei Höhepunkten: der erste führt vom langsamen zum mittleren, der zweite vom langsamen zum schnellen Tempo. Eine ruhige Coda mit instrumentalem Nachspiel beschließt das Werk. Die Atmosphäre ist geprägt von stiller Intensität, strenger Form und einer fast hypnotischen Ruhe. Gagokbounce: One by One ist eine vielschichtige Reflexion über Stimme, Körper und kulturelle Übertragung – eine Annäherung an das Fremde über genaue Beobachtung, konzentriertes Zuhören und Präsenz im Detail.
 

Theresa Hak Kyung Cha: One By One

One by one.
The sounds. The sounds that move at a time
stops. Starts again. Exceptions
stops and starts again
all but exceptions.
Stop. Start. Starts.
Contractions. Noise. Semblance of noise.
Broken speech. One to one. At a time.
Cracked tongue. Broken tongue.
Pidgeon. Semblance of speech.
Swallows. Inhales. Stutter. Starts. Stops before
starts.
About to. Then stops. Exhale
swallowed to a sudden arrest.
Rest. Without. Can do without rest. Improper
to rest before begun even. Probation of rest.
Without them all.
Stop start.
Where proper pauses were expected.
But no more.

(Text adapted from Dictée, courtesy of the University of California, Berkeley Art Museum and Pacific Film Archive.)

Produktionen

2025