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Abendsonne

Tomasz Skweres (2024)

There is a crack, a crack in everything. That’s how the light gets in. 
(Leonhard Cohen)

Der Riss ist der Ort, über den das Licht eindringt. 
(Rumi)

Je älter man wird, desto jünger ringsum die Welt. 
(Friederike Mayröcker)


Das Auflösen der Gesellschaft in selbstverantwortliche einzelne Individuen trifft die Schwachen zuerst. Nicht mehr produktiv, weil aus dem Kontext und der Teilhabe verbannt. Nicht mehr Nettozahler:innen, sondern -empfänger:innen. Nicht mehr nützlich. Alte sind Störfaktoren im reibungslosen Ablauf der Gesellschaftsmaschine, sobald sie schwächer werden. Da alle praktischen Verbindungen gerissen sind, hängen sie am seidenen Faden der Gunst. Selbst die wenigen, die sich eine teure Seniorenresidenz oder Pflege leisten können, sind nicht sicher vor Entwürdigung durch das ökonomische Prinzip. Weisheit traut man ihnen nicht mehr zu, als Familienzentrum haben sie ausgedient, ihre Erfahrung wird nicht mehr geschätzt und sie passen in ihrer Langsamkeit nicht in die Beschleunigungen der Zeit.
Das Alter wird in ein Exil inmitten der Lebensheimat verbannt. Es wird in medizinische Begriffe gefasst, in soziologischen Problemzonen verortet, mit dem Fluch der Unsichtbarkeit belegt. So scheint, als hätte das Leben der Alten keinen Eigenwert mehr, sondern würde nur unter dem Aspekt betrachtet, was ihr Leben für ihre Umwelt wert ist. Wie wird es in einer Zeit, in der das Alter demografisch an Gewicht zunimmt, aber an Achtung abnimmt, weitergehen? Und wie könnte es anders sein?
Diskutiert wird ein Hinaufsetzen des Pensionsalters oder die frei gewählte Option, zur Pension dazuzuverdienen. Wenn es zudem gelingen könnte, diese Arbeit an die Kraftreserven anzupassen, etwa Arbeitsstunden zu reduzieren, wären die Alten nicht aus dem gesellschaftlichen Kontext verbannt. Prinzipiell müsste über Arbeit nachgedacht werden, denn sie säht Zwiespalt zwischen Arbeitenden und Nichtarbeitenden. Das wirkt sich nicht nur auf Arbeitslose, sondern auch auf Alte aus – wertlos die einen, beneidet für den Seniorenlenz auf den Kreuzfahrtschiffen die anderen. Die Klassengesellschaft reißt im Alter besonders krass auf, aber auch hier sind die Glücklichen in der Minderheit. Neue Wohnmodelle wie das Generationenhaus, in dem bewusst alle Altersklassen durchwebt werden, kompensieren das verlorene Netz der Großfamilie, sie helfen nicht nur gegen Vereinsamung, sondern schützen auch vor jenen unheilvollen Ghettobildungen, die den Generationskohorten das Verständnis füreinander abtrainiert. Dasselbe kann auch ehrenamtliche Arbeit leisten oder das Engagement in Vereinen, in Chören, in allen Zusammenhängen, in denen aktive Teilhabe ohne Leistungsdruck möglich ist.
Gut beraten all die, die sich schon in den sogenannten aktiven Jahren auf dieses Zeit vorbereiten, und die, die nicht mit der Pensionierung auch innerlich alle Werkzeuge fallenlassen. Alter selbst ist noch keine Krankheit, der Verlust von Lebensfreude und Weltinteresse keine Notwendigkeit. Nicht zuletzt das Verständnis, dass sich das Leben unaufhörlich ändert und jede Zeit ihre Aufgaben, Herausforderungen und Möglichkeiten bietet, relativiert die Einschätzung als Zeit des Verlustes, als die es in der Leistungsgesellschaft so lange gegolten hat. Vom Standpunkt der gewünschten immersiven Gesellschaft gilt es, nachzufragen, was die Vorteile, die Fähigkeiten und Funktionen des Alters sein können. Das Altersheim hingegen ist wie der Kindergarten eine bloße Aufbewahrungsanstalt derer, die den reibungslosen Ablauf stören. Darüber können auch moderne Bezeichnungen wie Seniorenresidenz nicht hinwegtäuschen. Der euphemistischen Bewerbung folgen oft deprimierende Zustände, denn ein Altersheim ist vielerorts ein Geschäft wie jedes andere, es muss zunehmend auch Rendite abwerfen. Doch die kann nur von der Ausbeutung des Personals oder der Pflegebedürftigen gepresst werden. Die Kassen (müssen) sparen, es fehlt an Fachkräften, deshalb werden oft ungelernte und überforderte Mitarbeiter:innen eingesetzt, die zur schweren Arbeit noch am Lohndumping leiden müssen. Pfleger:innen rechnen aus Zeitnot Scheinleistungen ab, Kassen zahlen für Tote, Heime bestechen Ärzte. Die Leistungen sind schwer zu überprüfen und die Leidtragenden sind meist nicht mehr in der Lage, sich zu beschweren. So nimmt es nicht wunder, dass Heime oft als Endstationen erscheinen, in denen das Leben sein Schlussurteil erhält wie eine Strafe: gedemütigt, entmündigt und von allen guten Geistern verlassen.
Aber nicht nur aus dieser konkreten Perspektive verdient das Alter mehr Aufmerksamkeit, sondern vor allem auch aus einer philosophischen. Als Bewohner:innen einer hastigen und dennoch eingefrorenen Gegenwart verstehen wir wenig von den Veränderungen der Zeit und konstruieren uns eine stabile Identität. Doch an den so dunkel schillernden Rändern des Lebens – der Kindheit und dem Greisenalter – wird deutlich, dass es die nicht gibt. Dass sogar in der opakesten Identität Brüche auftreten, in denen die Illusionen über Gewissheiten sichtbar werden. So ist das Alter – ebenso wie die Kindheit – das besondere Lebensalter, in dem all die Lügen, das Verdrängte und Versäumte sichtbar werden und sich das Leben selbst in seiner Unbedingtheit und Verletzlichkeit offenbart. Durch diese Brüche dringt aber auch – wie es Rumi und tausend Jahre später Leonhard Cohen schreiben – das Licht der Erkenntnis und der Hoffnung ein, dass es jenseits des gut ausgeleuchteten und doch undurchdringlichen Reich Realität noch metaphysische Auswege gibt.
Dass es für das Alter ein neues Konzept braucht, bemerken die meisten erst, wenn sie selbst alt werden. Dann ist es zu spät. Die Pointe ist verpasst, die Geschichte ist lange, bevor sie endet, schon vorbei und der Plot des Lebens faded grau und sinnlos in einem faden Loop aus.
Aber was macht den Sinn eines Menschenlebens aus? Wohl auch sein Ende – so wie in den Geschichten, die wir Menschen uns erzählen. Wird das Leben als Geschichte gelesen, wäre es doch schlechte Dramaturgie, wenn dem Alter keinerlei Bedeutung zugemessen würde. Denn der Schluss des Lebens sollte die Pointe bringen, die Moral von der Geschichte oder zumindest ein Ende, das dem Anfang seinen runden Sinn geben kann.
Das Libretto ist inspiriert von Pornografia von Witold Gombrowicz. 1963 war das Buch ein Skandal – zwei ältere Männer verkuppeln ein junges Mädchen der Gesellschaft mit einem gleichaltrigen Landarbeiter, das erotische Experiment führt letztlich zu einem Mord. Der gierige Blick reifer oder älterer Erwachsener auf das Abenteuer von Pubertät und Adoleszenz rührte an ein Tabu zwischen den Generationen. In Gombrowicz’ amoralischer Versuchsanordnung sind Langeweile und Voyeurismus das Motiv.

Das Libretto Abendsonne von Kristine Tornquist (der 1. Teil einer Trilogie) arbeitet mit demselben Motiv, hinterlegt jedoch die Intrige mit einer anderen Absicht und einem anderen Hintergrund jenseits von Moral und Lüsternheit. Was Büxenstein und seine beiden Freunde vorhaben, ist nicht unmoralisch wie bei Gombrowicz, sondern nichts anderes als eine Beschleunigung des Lebens selbst, das zwischen Werden und Vergehen rotiert. Die Musik des jungen polnischen Komponisten Tomasz Skweres betont die komischen Situationen und findet doch auch Zeit für die stille Traurigkeit und Einsamkeit der Figuren. Mit einer sinnlichen und sehr farbigen Musik gestaltet er die Vorgänge im Altersheim sehr lebendig, in jedem Moment hört man das Blut rauschen, den Atem fließen, die Herzen schlagen, das Zittern und Lachen vorwärtstreiben. Das Jugendstiltheater ist in seiner verblassten Schönheit der ideale Backdrop für eine Geschichte im Altersheim. Auf der Bühne von Michael Liszt und Kristine Tornquist werden einige Geister in Kostümen von Nora Scheidl in der Regie von Kristine Tornquist spuken. Das Ensemble PHACE und acht bewährte Solist:innen des sirene Operntheaters sorgen unter der Leitung von Antanina Kalechyts für musikalische Präzision und Lebendigkeit. Jury Everhartz setzt für sirene Operntheater die Kammeroper in ein spannendes Diskursprogramm. 
(Kristine Tornquist)

Produktionen

2025